+++ Bericht +++
BDF-Exkursion ins Val di Fiemme im Trentino, Italien vom 4. bis 7. Oktober 2022
Vom 4. bis 7. Oktober hat Peter Ostertag seine (bis auf die Corona-Pause) jährliche Exkursion veranstaltet.
Lesen Sie nachfolgend den kompletten Bericht von Anne-Claire Fink.
Herzlichen Dank auch an Werner Bierer für die tollen Bilder. Diese können Sie entweder am Ende des Beitrags anschauen oder Sie klicken auf das große Bild und können bequem weiterblättern.
Dienstag, 4. Oktober:
Sehr früh am Morgen fahren wir zu sechst mit Markus Bohnert von St. Peter nach Füssen, wo wir auf den Omnibus mit der Hauptgruppe treffen. Es gibt eine herzliche Begrüßung mit der Hauptgruppe und den Organisatoren Peter Ostertag und Angelika Schneider, die uns wieder als sachkundige Dolmetscherin begleitet. Eine kleine Stärkung und ein Morgengruß der Jagdhornbläser lässt die Vorfreude wachsen. Auf der Fahrt durch das herbstbunte Allgäu, über den Fernpass bis zum Brenner frischen wir unser Namensgedächtnis ein wenig auf, manche spielen Karten oder genießen die vorüberziehende Landschaft.
Leuchtend rote Äpfel, schwer mit dunklen Trauben behangene Rebstöcke, kleine Dörfer mit spitz-aufragenden Kirchtürmen begleiten uns durchs Etschtal bis hinter Bozen. Dort verlassen wir die Autobahn und der Bus erklimmt in vielen engen Kehren den Pass, gebaut in eine urzeitliche Porphyrwand, hinauf in das Fleimstal, welches durch diese besondere geografische Lage über viele Jahrhunderte vom Etschtal isoliert war.
Schließlich erreichen wir in der Spätnachmittagssonne Cavalese auf 1000 m ü M., wo uns Forstdirektor i.R. Bruno Crosignani aus Predazzo empfängt.
Auf einem Panoramapunkt zeigt und erklärt er uns das Val di Fiemme, das sich zu unseren Füßen von Westen nach Osten erstreckt, begrenzt im Norden vom Porphyr-Bergzug, dem Lagorai, im Tal dem Fluss Avisio und im Süden gehört die Latemar- und Palagruppe zu den Dolomiten. Diese ragen weiß strahlend im Südosten empor, gebildet vor Millionen von Jahren aus Korallenriffen. Entstanden ist das Tal durch Magmaaustritt aus einem Erdspalt, geformt wurde es viel später durch Gletscher. Früh wurde entdeckt, dass es aufgrund dieser Bedingungen ein reiches Vorkommen von wertvollen Erzen gibt. Im 19. Jahrhundert erkundete Alexander von Humboldt das Tal.
Wir sehen vor uns Dörfer, Weiden, locker mit Bäumen bestandene Flächen, an den teils sehr steilen Hängen Nadelwälder, aber auch große Kahlflächen oder Flächen mit umgestürzten Bäumen.
Diese liegen alle säuberlich von West nach Ost, gefällt am 19.12.2018 vom Orkan Vaia, der in 2 Stunden mit ca. 200 km/h über 8 Mio. Kubikmeter Holz, ca. 42 Mio. Bäume umriss.
Eine historisch wichtige Besonderheit im Val di Fiemme ist das Fehlen einer adeligen Herrschaft. Seit 1111 n. Chr. besteht der Gebhardinische Pakt zwischen Fürstbischof Gebhard von Trient und den Bewohnern des Tals. Dieser erlaubt eine Form der Selbstverwaltung der 11 Dörfer in der „Magnifica Comunità“ und der selbstbestimmten Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Dies betrifft vor allem die ausgedehnten Bergwälder. Desweiteren vererbt sich der Anspruch, Mitglied in der Comunità zu sein, über die Söhne der Familie bis heute. Diese regelt alles im Tal über jährliche Versammlungen und einem eigenen Rechtssystem. Heute noch ist das Trentino-Südtirol eine autonome Provinz.
Die Magnifica Comunità besitzt über 20.000 ha Land, davon 12.500 ha Wald und 6.000 ha Almen und Weiden. Die Wälder stehen auf 900 bis 1900 m ü M, zwischen 1400 und 1700 m ü M steht reiner hochmontaner Fichtenwald mit wertvollen Stämmen, bis zu 900 cbm Vorratsfestmeter pro Hektar.
Die Sonne steht mittlerweile tief und unsere Jagdhornbläser lassen noch weiche Harmonien über das abendliche Tal klingen. Wir fahren zum Hotel „Sacro Cuore“, wo uns ein kleines Abendessen erwartet.
Der erste Abend klingt aus mit fröhlicher Musik und Gesang, dem sich einige der Hotelgäste gerne anschließen.
Mittwoch, 5. Oktober:
Ein strahlend blauer Himmel und leuchtende Wälder erwarten uns nach dem Frühstück mit gutem ítalienischem Kaffee. Wir beginnen im Val di Stava, einem Seitental des Val di Fiemme mit einem vom Sturm unversehrten typischen Bergwald. Bruno führt uns ein Stück hinein und zeigt uns die hier übliche Gruppenstruktur zum gegenseitigen Schutz, teils sind Fichten und Kiefern gemischt, es stehen dadurch verschieden große und alte Bäume auf einer Fläche, die gemeinsam geerntet werden.
Wildverbiss ist hier kein Thema durch Revierjagd der Einheimischen. Es entspinnt sich eine lebhafte Diskussion dazu, Angelika hat alle Hände voll zu tun, hin und her zu übersetzen.
Früher wurden diese dorfnahen Flächen als Waldweide genutzt, heute verjüngen sie sich mit Fichte als Sukzessionswald.
Das Forstkorps ist zuständig für Auszeichnung, Fällung und Transport zur Strasse, für den Verkauf ist die Comunità zuständig, die Einnahmen werden wieder im Tal reinvestiert.
Das Trentino pflanzt im Jahr 400.000 Bäumchen, davon sind 70 % Lärchen, im Tal sind davon 25.000 gepflanzt worden.
Wir werden hinauf zum Lavazé-Pass (1820 m ü M) gefahren. Dort geniessen wir den traumhaften Weitblick auf den Rosengarten und über unzählige Bergkämme. Dann beginnen wir den Abstieg durch einen vom Sturm Vaia vor 4 Jahren völlig zerstörten Bergwald. Auf einem alten Säumerweg sehen wir im oberen Bereich des steilen Hanges noch die sonnengebleichten Baumleichen, die teils hoch abgebrochenen Stöcke und dazwischen erste Naturverjüngung. Bruno stellte uns sehr anschaulich die chaotische Situation direkt nach dem Sturm dar. Es gab von den Behörden keinerlei Katastrophenpläne für diesen gigantischen Waldschaden, es gab viele Kompetenzkämpfe um die Entscheidungen des richtigen Vorgehens, teils waren Gelder schneller zur Verfügung gestellt worden als Handlungspläne entstanden waren, so dass auch mancher Euro sinnlos ausgegeben wurde. Ein Beispiel dafür war eine Lawinenschutzmauer an einer nicht lawinengefährdeten Stelle. Viele Flächen wurden abgeräumt, mussten dann aber aufwändig mit Lawinenverbauungen und künstlichen Aufforstungen gesichert werden, weil durch die Arbeiten die Naturverjüngung zerstört wurde. Bruno hat dafür gekämpft, dass bestimmte Flächen in beschriebener Weise sich selbst sichern und einen neuen Wald bilden. Wir spürten die enorme Wärme an diesem Südhang, sehen auch die Trockenheit des Bodens zwischen den zahlreichen Steinen und Felsblöcken und geniessen den Anblick des leuchtenden farbigen Porphyr mit golden sich wiegenden Gräsern im Gegenlicht.
Es gibt einen weiteren Gegner des Forsts nach diesem Ereignis, es sind sehr trockene Jahre mit wenig Schnee und infolge dessen eine massenhafte Ausbreitung des Borkenkäfers. Das erzeugt hohen Druck bei der Aufarbeitung des Holzes, etwa gleich viel Holz fiel durch den Borkenkäferbefall an wie durch den Windwurf.
Es ist mittlerweile Mittag und wir werden im Albergo Bucaneve auf der Passhöhe echt tirolerisch verwöhnt mit Gulasch, Knödel und Tiroler Kirschkuchen.
Unser zuverlässiger Busfahrer Ernst bringt uns ins Val di Stava und wir begehen zu Fuß den oberen Talboden, wo 1985 die Katastrophe einer gigantischen Schlammlawine ihren Ausgang nahm.
Bruno zeigt uns am Berghang ein Beispiel traditioneller Forstwirtschaft im Tal. Es wird zwischen zwei Hangwegen ein senkrechter Streifen im noch nicht hiebsreifen Wald angelegt. Das Licht begünstigt am Rand die Naturverjüngung, dann wird ein Saumhieb der reifen Bäume gemacht und der Streifen wandert in eine Richtung. Sollte wenig Naturverjüngung aufkommen wird mit Lärche aufgeforstet. Meist kommt noch ein „Fischgrät-Hieb“ schräg zum Hang dazu.
Anschließend besuchen wir das Centro documentale di Stava 1985 oberhalb des ehemaligen Dörfchens Stava. Es dokumentiert derartige Großkatastrophen weltweit.
Wir sehen einen Film von National Geografic Canal, der die Dimension und Grausamkeit dieser Katastrophe anschaulich macht:
Zwei Schlammbecken des Fluorit-Bergwerks von Prestavel brachen und eine 200.000 cbm-Schlammwelle wälzte sich mit 90 km/h Richtung Tesoro. Schon die Druckwelle ließ Dächer und Bäume durch die Luft fliegen. Nach 3 Minuten war Stava komplett vernichtet, in Tesoro riss es die Brücken und am Hang liegende Häuser mit, bis sich der Schlamm ins Bett des Avisio ergoss.
268 Menschen starben, 60 Gebäude wurden zerstört, nur 13 Menschen konnten lebend geborgen werden. Drei Überlebende schilderten die Ereignisse dieser katastrophalen Minuten in ihrem Leben.
Sie gründeten auch das Centro. Nach langwierigen Prozessen wurden 10 Verantwortliche verurteilt.
Zwei weitere Ereignisse erschütterten das Tal. Unter dem beliebten Skigebiet am Monte Cermis oberhalb von Tesoro riss im März 1976 das Tragseil der Seilbahn nach einem Notstopp beim zu schnellen Start und 42 Menschen starben beim Sturz aus 200 m Höhe.
Schließlich durchtrennte im Februar 1998 ein US-Militärflugzeug beim tollkühnen Tiefflug das Tragseil, und 20 Menschen stürzten aus 150 m Höhe in den Tod. Die Piloten vernichteten gefilmte Beweise und wurden nicht einmal wegen Totschlags verurteilt.
Wir treten wieder in die warme Sonne und ein betroffenes Schweigen liegt über uns.
Ernst fährt uns zum Hotel, wo uns ein warmes Abendessen erwartet. Danach bittet uns Bruno in den Konferenzraum und zeigt noch einmal verschiedene Waldsituationen im Tal, besonders interessant ist der Vergleich zwischen Bildern von früher und jetzt.
Danach spendiert er einen selbstgemachten Enzianschnaps, dessen Bitterkeit interessant verzogene Gesichter hervorzaubert. Es gibt noch Fragen und Antworten zur Wildsituation, die Gefahr von Muren und Lawinen, den Einfluss des Tourismus und der Wolfs- und Bärenproblematik.
Schließlich klingt der Abend wieder musikalisch aus und fast alle Hotelgäste beteiligen sich mit Gesang und Applaus. Da es so schnell 22 Uhr ist, müssen wir die große Wanduhr mehrmals unter großem Gelächter zurückdrehen.
Donnerstag, 6. Oktober:
Wieder bricht ein strahlender Morgen an, die Sonne legt sich warm auf die Mauern von Cavalese.
Mit Hörnerklang wird Mario Proll, ein pensionierter hoher Forstbeamter aus Südtirol würdig begrüßt. Danach starten wir ins Obere Fleimstal auf schmalen Sträßchen. Links unter uns sehen wir das Sägewerk Zaino, Eigentum der Comunità, wo das meiste Holz des Tals verarbeitet wird.
In Predazzo (1018 m ü M) erklären uns Bruno und Mario gemeinsam nochmals die Funktion und Erbsituation der Comunità, und hier zeigen sie uns die schlimmsten Sturmschäden und den Umgang damit um Predazzo herum.
Dort sind Häuser und eine wichtige Straße von Lawinen und Muren bedroht. Deshalb wurden dort von der Straßenbauverwaltung große Arbeiten ohne Rücksprache mit den ortserfahrenen Förstern und deren bewährten Firmen vergeben. Das führte zu großen Differenzen.
Wir fahren talaufwärts, der Wald wird lichter und locker mit Lärchen bestandene Bergwiesen leuchten golden auf. Rechterhand begleitet uns ein langer blaugrün glitzernder Stausee.
Ein Drittel des gesamten Nadelholzeinschlags für ganz Italien kommt aus Südtirol und dem Trentino.
Wir erreichen den Nationalpark Paneveggio, in dem auf 1500 m ü M ein staatlicher Forststützpunkt den „schönsten Wald im Trentino“ pflegt. Dieser Bergwald ist seit Jahrhunderten berühmt für seine schönen Fichten, die sich als Klangholz eignen.
Wir werden in ein Lagerhaus geführt, in dem dieses wertvolle Klangholz mehrere Jahre getrocknet wird. Es eignen sich Bäume mit sehr gleichmäßigem langsamem Wuchs, astarm und sehr engen Jahrringen, welche im Dezember bei abnehmendem Mond gefällt werden. Für Geigen werden 50 cm lange Segmente von Hand gespalten, datiert und getrocknet. Schwieriger ist es, für Celli oder Kontrabässe geeignete längere Stammstücke zu finden. Geigenbauer aus aller Welt, sowie die Geigenbauschule in Cremona kommen hier her, um ihre Hölzer auszusuchen.
Anschließend machen wir einen kleinen Rundgang durch den Wald, vorbei an einem großen Holzpolder mit Käferholz. Da sich der Borkenkäfer auch auf diesen Höhen rasant verbreitet, stellt er eine sehr große Gefahr für die alten Klangholzbäume dar.
Wir fahren das letzte Stück des Valles-Passes nach oben, rechts schauen wir kurz ins „schönste Tal der Dolomiten“, Val Venegia, dann erreichen wir auf 2032 m ü M. die Passhöhe und Grenze ins Veneto. Es bietet sich ein überwältigender Blick in die Dolomiten im prächtigen Herbstkleid.
Ein üppiges Mittagessen auf der Almhütte mit Krügen voller Rotwein wartet auf uns.
Während wir im Bus entspannen können, zirkelt Ernst wieder zuverlässig um die engen Kehren zurück nach Predazzo, wo wir dem Museo geologico noch einen Besuch abstatten.
Dort ist sehr anschaulich in Objekten und Texten (auch in Deutsch) dargestellt, wie reich diese Gegend an geologischen Schätzen ist. Besonders schöne und seltene versteinerte Muscheln haben sogar ihre Originalfärbung über 260 Millionen von Jahren erhalten. Auch wurde die Almwirtschaft, der Alpinismus und der Tourismus als gestaltende Elemente gezeigt.
Leider geht die Zeit so schnell vorüber, die nächste Station wartet schon, also fahren wir zurück nach Cavalese, um die dortige Heizzentrale zu besichtigen, von der 80% der Gebäude beheizt werden.
Vor etlichen Jahren wurden die Dörfer des Tales an eine zentrale Gasversorgung angeschlossen, nur Cavalese entschied sich, Holz aus dem Tal als Wärmeressource für den Ort zu nutzen.
Es werden Hackschnitzel angeliefert und verbrannt und es werden Pellets hergestellt, welche den Einwohnern zur Verfügung stehen, die nicht ans Leitungsnetz angeschlossen werden konnten. Außerdem wird eine Öl-Dampfturbine zur Stromgewinnung betrieben und über Dampfextraktion werden aus grünen Pflanzenteilen der Fichte, Latsche und Kiefer ätherische Öle produziert. Stolz wird auf das 0-Kilometer-Ziel verwiesen, das bedeutet Energie der kurzen Wege.
Zurück am Hotel werden Mario und Bruno verabschiedet und ihnen mit einem Buchpräsent und einem schönen Ständchen der Bläser für ihre Begleitung gedankt, ebenso Angelika.
Nach dem Abendessen werden wir ins Konferenzzimmer gebeten, das Licht geht aus, Musik spielt und der Koch kommt herein mit einem großen Apfelkuchen, auf dem ein Feuerwerk abbrennt.
Der Hotelchef hält eine kleine Ansprache, wir genießen den Kuchen und unser letzter gemeinsamer Abend klingt musikalisch fröhlich aus, dank unserer unermüdlichen Musikanten.
Freitag, 7. Oktober:
Ein strahlender Herbstmorgen lässt uns den Abschied von den Bergen schwer werden. Die Bläser schicken nochmals ihre Harmonien in die frische Morgenluft, dann fahren wir nach Trient zu einer kurzen Stadtbesichtigung. In Trient als Bischofssitz wurde 1562 n Chr. in einem Konzil für die Gegenreformation blutige Europa-Geschichte geschrieben. Ein prächtiger Dom mit Bauteilen aus dem 8. Jahrhundert, schöne Plätze, historische Gebäude, teils auf römischen Vorgängern, die umgebenden Berge mit ihren kleinen Wallfahrtskirchlein auf den höchsten Felsen lassen verstehen, dass es hier schon den Römern gefiel.
Ein letzter Blick über die türkisblaue Etsch, dann starten wir gen Norden. Lange werden wir im Etschtal noch begleitet von Bergen, Wäldern, Weinbergen, Obstanlagen und dazwischen unzählige kleine Dörfer mit ihren spitzen Kirchtürmen, oft auf gigantischen Schuttkegeln der Felswände oberhalb angelegt. Es ist ruhig im Bus, ich denke, alle verarbeiten diese unendlich vielen Eindrücke für alle Sinne. Es war eine gelungene ausgewogene Mischung aus forstlichen Aspekten dieser Gegend, Landschaft, aber auch Kultur und Kulinarik. Es war eine wunderbar unkomplizierte, belastbare Gruppe, es gab viele bereichernde Gespräche und es wurde viel gelacht.
Bericht von Anne-Claire Fink
Fotos von Werner Bierer